Avvento – Kunst für die Öffentlichkeit | Dirk Wilhelm

Avvento verhüllt

Avvento – Kunst für die Öffentlichkeit

Rede von Dr. Ute Herborg-Oberhäuser zur Eröffnung am 13. September 2013

Verehrte Anwesende,

lieber Dirk, 

du hast uns ein schwergewichtiges Stück italienischer Leichtigkeit nach Bad Honnef gebracht und es am südlichen Eingangstor zur Stadt, dem Bad Honnefer Drieschweg-Kreisel perfekt installiert. Das ist eine Wucht – und es ist eine Freude! Der Titel deiner Skulptur „Avvento“ steht für Ankunft, Eintreten und Eingang, ja und auch für Advent. Insofern haben wir Honnefer nun jahreszeitlich unabhängig jeden Tag Advent.

Dieses wunderbare Stück Kunst ist aus neun tonnenschweren quadratischen Teilen zusammengesetzt. Deshalb habe ich für meine Rede neun thematische Blöcke erdacht, die sich wie dein großartiges Marmorkissen zu einem Ganzen fügen sollen.

1 Der Künstler

Dirk Wilhelm  (*1969 in Kassel) hat nach Abitur und Zivildienst 1990 an der Alanus Hochschule Alfter ein Studium der Bildhauerei und der Kulturpädagogik begonnen und nach dem Diplom 1994 ein Aufbaustudium für Metallgestaltung an der Burg Giebichenstein, Hochschule für Kunst und Design Halle angeschlossen.

Regelmäßige Ausstellungen seiner Werke (etwa in Hamburg, Leipzig, Ingolstadt, Köln, Bonn und Frankfurt; zuletzt bei der Stadtsparkasse Bad Honnef und bei der Solidaris, Köln) folgten.

2 Seine Kunst

Der Bildhauer arbeitet überwiegend mit Marmor und Alabaster, aber auch einer Reihe weiterer Gesteinsarten ganz unterschiedlicher Farbe, Dichte und Konsistenz. Seine Handwerkzeuge sind neben dem – erwartbaren – Hammer und Meißel Schnitzmesser, Raspel und Schleifpapier, aber auch „schweres Gerät“ wie Drucklufthammer, Schleifgerät und Kompressor.

Seine Skulpturen sind – neben einigen figürlichen Werkreihen – abstrakt mit geometrischen oder organischen Formen mit Andeutungen aus Flora und Fauna. Seine virtuose Fähigkeit, die spezifische Eigenart des einzelnen Steins zu erkennen und herauszuarbeiten, macht die Faszination seiner Werke aus. Die Formen seiner Skulpturen pendeln exakt zwischen Eleganz und Schlichtheit, Rauheit und Glätte, Zartheit und Wucht, Strenge und Verspieltheit.

Dirk Wilhelm bringt mit seiner Kunst das Schwerste zum Schweben, das Harte zum Fließen und das Stumpfe zum Leuchten.

Die italienische Kunsthistorikerin Francesca Pivato beschreibt es so: „Manchmal scheint Dirk Wilhelm die Materie wirklich zu kontrollieren, andere Male scheint die Natur zumindest Teile des Kampfes gewonnen zu haben.“ In der Skulptur Avvento spiegelt sich dies auf überzeugende Weise wider: Auf der einen Seite die raue natürliche Oberfläche im Viereck, auf der anderen Seite das glatt geschliffene Rund des Kreises.

3 Der Künstler als Vermittler

Parallel zu seiner eigenen künstlerischen Arbeit war Dirk Wilhelm von Anfang an die Vermittlung von künstlerisch-handwerklichem Wissen und die Förderung individueller kreativer Fähigkeiten wichtig. Als ausgebildeter Kulturpädagoge entwickelte er Seminare für junge Auszubildende, in denen Schlüsselqualifikationen, Prozessdenken, aktives Lernen und nicht zuletzt Freude, Mut und Experimentierlust geschult werden. Seit über 15 Jahren hat sich seine Kulturwerkstatt bei internationalen Konzernen und Institutionen (wie Henkel und Bayer oder der Bundeszentrale für politische Bildung) etabliert. Er folgt damit einem Credo des Altmeisters Joseph Beuys, der das sagte: Jeder Mensch ist ein Künstler.

Dirk Wilhelm verfügt über ein großzügiges  Atelier in den ehemaligen Wirtschaftsräumen der Villa Riese in Rhöndorf. Hier und in dem alten Park der Villa ist Platz für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Bildhauerkurse, die der Künstler regelmäßig an Wochenenden anbietet. Auch hier ist ihm ein wesentliches Anliegen, neben der Weitergabe von handwerklichen Techniken der Steinbearbeitung Anfänger wie Fortgeschrittene zum kreativen Prozess und einem eigenen künstlerischen Ausdruck zu motivieren. Plakativ gesagt, kommen die Kursteilnehmenden mit einem 10-20 kg schweren Brocken Speckstein, Alabaster, Sandstein oder Marmor in Dirk Wilhelms Werkstatt und verlassen sie – geschafft, aber glücklich – mit einem selbst geschaffenen Kunstwerk. Man hört, dass es zur Arbeit nicht nur Wasser und Brot gibt, sondern auch einen regen Austausch bei einem leckeren Essen. Dirk Wilhelm sorgt also für Seele, Leib und körperliche Ertüchtigung und arbeitet damit im besten Sinne ganzheitlich.

Nun zum Werk:

4 Avvento kommt an – die Presse ist dabei

Die Planung und Realisierung des Kunstwerks, von der Idee und dem ersten Entwurf über das Fundraising und die Spendenaufrufe bis hin zur Installation auf dem Verkehrskreisel rufen von Anfang an große Aufmerksamkeit in Bad Honnef und der Region hervor. Die Zeitungen titeln:

Skulptur „Avvento“ von Dirk Wilhelm soll Kreisel zieren

Wilhelms erste Skulptur für den öffentlichen Raum

Carrara-Marmor für Skulptur auf dem Kreisel schwebt ein

Skulptur „Avvento“ wird zum Hingucker

Und natürlich:

Bad Honnef soll schöner werden!

Die Presseartikel der Region setzen sich intensiv mit dem Werk und Künstler auseinander:

Noch gibt es dieses Kunstwerk nur als kleines Modell.

Gestern rollten auf der Verkehrsinsel Künstler Dirk Wilhelm, Werner Osterbrink als Vorsitzender des Vereins zur Förderung von Kunst und Kultur in Bad Honnef sowie zahlreiche Unternehmer, Vertreter von Institutionen und Privatleute ein Banner aus, das auf das monumentale Werk aufmerksam machen soll.

Bürger und Gäste der Stadt werden also künftig mit einem prachtvollen Kunstwerk empfangen.

Drei Meter hoch, drei Meter breit, und mit nur 30 Zentimetern Dicke dennoch leicht und elegant soll die Skulptur aus Marmor dann das Eingangstor in den Süden der Stadt sein.

Die italienischen Steinbrucharbeiter, die Cavatori, hatten mächtig zu tun, um den Koloss zu bergen.

In Italien, genauer in Pietrasanta, hat Dirk Wilhelm den Stein auch bearbeitet. Der Block wurde in neun Teile zerlegt, die jeweils noch eine Tonne wiegen. Die insgesamt 22 Quadratmeter Oberfläche hat Wilhelm mit der Hand sorgfältig geschliffen.

Einem Kissen gleich wurden die Quadrate zu den Außenseiten hin verjüngt und in die beiden großen Flächen Strukturen eingearbeitet: eine tellerförmige Vertiefung auf der einen und ein auf der Spitze stehendes Quadrat mit rauer Oberfläche auf der anderen Seite.

Staunend blickten die Autofahrer und Passanten auf das rege Treiben am Kreisel im Bad Honnefer Süden. Ein Kran hievte in Holz verschalte Marmorsteine auf die Mitte des Kreisels.

Auch der Künstler wird zitiert: „Diese neun Einzelteile ergeben ein Gesamtbild, spiegeln die Vielfalt vor Ort, lassen Durchblicke zu, reagieren im Tagesverlauf durch Licht und Schatten mit Natur und Umfeld. Die natürliche Struktur des Steins wirkt nach außen, die Schale nimmt auf: Symbol für Geben und Nehmen, Wirken für andere.“

Wo ist Avvento entstanden?

5 Avvento – ein Stück Italien

Pietrasanta ist eine italienische Kleinstadt – etwa mit der Einwohnerzahl von Honnef – in der Provinz Lucca in der nördlichen Toskana gelegen. Leopold II., Großherzog der Toskana und Erzherzog von Österreich, schuf im 19. Jahrhundert durch die Errichtung von Schulen für Steinmetze eine wirtschaftliche Grundlage für die Bedeutung als Stadt des Marmors. Der Name Pietrasanta (ital. pietra: Stein, santa: heilig) ist Programm: Tatsächlich kommt der Steinbearbeitung hier eine ganz besondere Bedeutung zu. In den nahegelegenen Marmorbrüchen von Carrara wird einer der weltweit besten Bildhauermarmore namens Statuario gebrochen, der in Unternehmen in und um Pietrasanta weiterverarbeitet wird. Viele alltägliche Gegenstände wie Fensterbretter, Briefkästen, Bürgersteige,  ja sogar Müllkästen, die alle aus feinstem weißen Marmor bestehen, finden sich in der Stadt. Das ist in Honnef nicht der Fall, aber immerhin hat es nun ein Kunstwerk aus diesem edlen Material.

6 Der Marmor in der Kunst

Carrara-Marmor ist einer der bekanntesten Marmore weltweit und Oberbegriff für mehr als 50 unterschiedliche Handelsnamen. Das keltische Carrara bedeutet Steinbruch. Neben einer Verwendung für Bildhauerarbeiten und Denkmäler wird Carrara-Marmor heute vor allem für Boden- und Treppenbeläge, Fensterbänke sowie Natursteinfliesen in Bädern genutzt. Die Steinbildhauer verwenden wie früher den legendären und teuren Statuario, der ganz ohne Aderung ist. Die Blöcke für Avvento wurden an einem Berg aus fünf verschiedenen Marmorsorten geborgen.

Der Renaissance-Bildhauer Michelangelo, der den David, die Pietà, den Moses und andere berühmte Skulpturen aus diesem Material schuf, verhalf dem Stein zu seiner Berühmtheit. Kunstinteressierte aus Europa reisten zu den Marmorskulpturen der Renaissance und berichteten in ihren Heimatländern davon.

Schon am Ende der italienischen Romanik war es üblich geworden, dass die Bildhauer ihre Rohblöcke in den Bergen Carraras selbst aussuchten. Die Rohblöcke transportierte man im Tal mit zweirädrigen oder vierrädrigen Karren mit Ochsengespannen an den Ausstellungsbauort. Dabei wurde berechnet, dass jedes Ochsenpaar in der Ebene circa 800 Kilogramm ziehen konnte.

Einerseits gibt es also geradezu historische Parallelen: Auch Dirk Wilhelm hat sehr begeistert von seiner Suche nach dem Rohmaterials am Berg berichtet:  „Mitte November werde ich in den Bergen von Carrara einen geeigneten Block aussuchen und aus dem Felsen brechen lassen. Der Block wird mit Diamantseilen in drei Teile geschnitten. So kann der Stein mit einem Lastwagen überhaupt erst durch die Tunnel ins Tal gebracht werden. Wir sprechen hier immerhin über 12 bis 13 Tonnen Stein.“

So sind wir andererseits doch froh, dass der Einsatz von Ochsen heute nicht mehr für den Transport nötig war.

7 Das Studio Sem in Pietrasanta

Dirk Wilhelm war schon mehrfach zu Studienzwecken im Studio Sem und entdeckte dabei seine Liebe zu Alabaster und Marmor. Und er ist hier in guter Gesellschaft: In dem weltberühmten Studio wurden einst auch Arbeiten von Henry Moore und Juan Miró  und César erschaffen. Auch zeitgenössische Künstler wie Fernando Botero, Helaine Blumenfeld oder Damien Hirst arbeiteten hier.

Leiterin Keara McMartin half bei der Organisation und Umsetzung. Die „Artigiani“- die Kunsthandwerker unterstützten den Künstler bei der Auswahl des Marmorblocks in den Steinbrüchen. Im Studio wurde Avvento mit den neun Einzelteilen bereits einmal zur Probe aufgestellt.

Besonders schätzt Dirk Wilhelm, dass die Künstlerinnen und Künstler hier die Möglichkeit erhalten, ein erstes großes Werk herzustellen – wofür sie sich bewerben müssen – und sie im Arbeitsprozess durch die Kunsthandwerker des Studios unterstützt werden. Der Austausch, das Experimentieren und voneinander Lernen ist damit ein bedeutsamer Faktor für das Gelingen des Werks, aber auch für die Wertschätzung zwischen Künstlern und Kunsthandwerkern.

Pier Angelo Gherardini, Mitinhaber des Studios und Sohn des Studio-Gründers Sem, und Simone Fortini reisten auch schließlich aus Italien an, um beim Aufstellen der Skulptur zu helfen und den Kranfahrer zu dirigieren, bis Edelstahlverbindungen und Bohrungen punktgenau in Winkel und in Tiefe aufeinanderpassten.

8 Kunst für die Öffentlichkeit – Kunst im öffentlichen Raum  

„Kunst im öffentlichen Raum“ bezeichnet Kunstwerke, die im kommunalen öffentlichen Raum, in Parks, auf Straßen oder Plätzen für jeden sichtbar sind. Ein frühes Beispiel dafür sind die Nanas von Niki de Saint-Phalle in Hannover, deren Aufstellung 1974 zunächst sehr umstritten war. Die Kunst im öffentlichen Raum kann auch temporär sein: Eines der bekanntesten ist die Reichstagsverhüllung von Christo und Jeanne-Claude in Berlin 1995. Seit 1977 veranstaltet die Stadt Münster alle 10 Jahre die überregional bedeutsame Ausstellung Skulptur.Projekte im gesamten öffentlichen Raum der Stadt, zuletzt 2007.

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist ein Wiederauffrischen der Befragung regionaler Kulturwerte zu erkennen. Kunst im öffentlichen Raum gewinnt so einen erweiterten Stellenwert zur Wahrung des regionalen kulturellen Gedächtnisses. Weiterhin dient Kunst im öffentlichen Raum zur Vermittlung von kulturellen Werten, sozusagen als Bildungsangebot. Sie dient aber auch der Imageförderung einer Kommune. Städte und Gemeinden, die das erkennen und dieses Potential nutzen, haben neben dem Imagegewinn auch einen wirtschaftlichen Nutzen durch einen verstärkten Tourismus.

Kunst im öffentlichen Raum findet mehr und mehr Einzug bei städtebaulichen Planungen und wird so konzeptioneller Teil einer Platzgestaltung. Solche Kunstwerke müssen einerseits örtliche, technische, bauliche Vorgaben des Ortes berücksichtigen, andererseits sind sie auch ästhetischen und künstlerischen Aussagen verpflichtet. Werke der Kunst im Kreisverkehr etwa müssen in besonderem Maße Verkehrslösungen berücksichtigen.

Kunst im öffentlichen Raum ist nicht in jedem Fall eine von oben gesteuerte Veranstaltung. Die Städte stellen ihren öffentlichen Raum auch für privat finanzierte oder organisierte Projekte zur Verfügung, so auch in Bad Honnef. In diesem Sinn – meine ich – ist es die Kunst für die Öffentlichkeit. 

Avvento ist eine Bürgerinitiative im besten Sinne, nicht eine politische, sondern eine Initiative für die Kunst. Die Realisierung der Arbeit ist bürgerschaftlichem Engagement zu verdanken, von der Kleinstspende über viele hilfreiche Sachspenden bis zur institutionellen Förderung. Wie es Werner Osterbrink ausdrückte: „Je mehr Mitbürger sich beteiligen, umso überzeugender wird dieses Kunstwerk zunächst ein Projekt und nach Fertigstellung dann ein Kunstobjekt der Bürgerschaft.“

Avvento ist Dirk Wilhelms erste Arbeit für den öffentlichen Raum. Kunst für alle. Kunst mitten im Kreisel. Ein Hingucker – umrahmt von der Kulisse des Siebengebirges, vom Verkehr umfahren und von Geschäften flankiert.

9 Danke, Dirk Wilhelm

für diese Skulptur Avvento für Bad Honnef und für deine Liebe zur Kunst und zur Bildhauerei, die du weitergibst und ausstrahlst und uns alle damit begeisterst.

Rede von Dr. Ute Herborg-Oberhäuser zur Eröffnung am 13. September 2013